Nächtlicher Freigang oder Die Maus

 

Willi war auf Streifzug wie jeden Abend. Es war schon fast Mitternacht und er wollte nur noch einmal im U-Bahn-Schacht nach dem Rechten sehen und dann alsbald in die Wiener Straße 12, wo er mit seinem Lieblingsmenschen, dem Rudi Meier wohnte, zurückkehren. Ein wenig müde, dennoch bester Stimmung, folgte er seinem Instinkt, der ihm sagte, da musst du hin!

Sein Instinkt trog ihn nie und was er hörte, schien ihm recht zu geben, denn schon beim ersten Tritt auf die erste Stufe der Treppe mit seiner rechten Vorderpfote ließ ihn ein lautes Quieken und Quäken, daneben Gelächter vernehmen. Er konnte nicht einschätzen, was da los war und zögerte für einen Moment, hielt die Nase in die Luft und erschnupperte eine Art muffigen Geruchs, welchen er schon öfters in den Ecken dunkler schmuddeliger Hauseingänge oder in der Nähe von Parkbänken gerochen hatte, die Menschen nannten es Bier. Auch roch es sauer und süßlich, und nach Blut! Willi entschloss sich flugs nach unten zu laufen, die schmutzige, mit Kaugummi gepflasterte Treppe hinunter. Das Quieken und Quäken wurde immer lauter, das Gelächter auch. Es schien, als würden mehrere Menschen an der Sache beteiligt sein. Er spürte deutlich: Da war jemand in Gefahr. Als Willi unten angekommen war, überblickte er die U-Bahn-Station von vorne bis hinten, um alle vorhandenen Menschenwesen im Visier zu haben. Sein Blick blieb an einer Gruppe derer hängen. Was er sah, ließ ihm das Blut in seinen Katzenadern stocken, dies umso mehr, als er das Schreckliche, was sie taten, mit ansehen musste: Sein mögliches Abendessen, eine Maus, wurde unter lautem Quieken und Quäken gegen die weiße Wand der U-Bahn-Station geworfen. Beim Aufprall knallte und klatschte es, nicht sehr laut wegen des kleinen Körpers, aber deutlich hörbar. Und noch einmal warfen sie sie. Ein junger Kerl mit halb geschorenem Kopf...  

"Eine neue Nase für den Weihnachtsmann" aus: Black Power Kalender von H.C. Schmolck, Frankfurt 1969
"Eine neue Nase für den Weihnachtsmann" aus: Black Power Kalender von H.C. Schmolck, Frankfurt 1969

Der Diener und der Jäger

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Es war spät am Abend. Sir Ben saß im braunen Ledersessel mit gerunzelter Stirn und ernster Miene, vertieft in sein Buch. Stille. Draußen ist es stockduster. Schwarze Nacht, schwärzer als gewöhnlich. Da hörte er ein leises Scharren. Er zog die Augenbrauen hoch, schaute in Richtung Chaiselongue und murmelte: „Was soll das?“ Nichts zu sehen, Achselzucken. Er nippte wieder an seinem Cognac und nahm ein Stück seines Spätimbisses, was er stets um diese Zeit tat: Brot mit Schinken, Brot mit Roastbeef, deftig zubereitet. „Muh!“ Sir Ben schloss seinen soeben geöffneten Mund, das Schinkenbrot noch in der Hand, öffnete den Mund wieder. „Mmmuh!“ Schloss ihn, legte das Stück zurück auf den Teller. „Was in aller Welt ist das?“ Ein Scharren an der Wand aus Richtung Chaiselongue, diesmal etwas lauter. Plötzlich bewegte sich die Bärenpfote. Die Krallen scharrten mehrmals deutlich hörbar an der Wand, so dass auf einmal ein Riss in der Tapete zu sehen war. „Was soll das, Bär? Du bist tot.“ Da hub sich der Kopf des Bären, er riss sein Maul auf und brüllte ihn an: „Roarrr!“ und noch mal: „Roarrr!“ Laut brüllend sah der Bär ihn mit toten Augen, die sich plötzlich rollten, und mit bedrohlich verzogener Miene an. Auch Sir Ben öffnete seinen Mund, ließ ihn in dieser Haltung, wodurch er etwas vertrottelt aussah, die Augen weit aufgerissen vor Schreck. „Nein, wie ist das möglich? Ich glaube das nicht, das kann und darf nicht wahr sein.“ Als er versuchte, wieder in seine alte kolonialistische Siegerpose zu fallen und Befehle erteilen wollte: „Hier hat Ruhe zu herrschen, ein toter Bär ist ein toter Bär, nicht wahr?“ da hörte er den Ruf eines Elefanten, gleich darauf ein Weinen direkt von unten. Es war wie das Weinen eines Kindes, dann mehrerer Kinder, vieler Kinder. Und Blut! Sir Ben konnte sehen wie auf seinem wertvollen Teppich ein Rinnsal von Blut entstand, das größer und schlussendlich zur Blutlache wurde. Vom Schreibtisch aus war das Kreischen eines Affen zu hören, aus dem Stuhlbein wuchs binnen Sekunden das Gesicht eines Orang-Utan-Babys. Der Teppich weinte und blutete, eine weitere und noch eine Blutlache bildeten sich, bis der Teppich rot war von Blut und das Kinderweinen wollte nicht aufhören. Der Bär brüllte ihn an, scharrte mit beiden Vorderpfoten und drohte von der Wand geradezu in Sir Bens Gesicht zu springen. Das Orang-Utan-Baby kreischte vor Schmerz, die Schinkenstücke grunzten wie Schweine, das Roastbeef muhte, bewegte sich wellenförmig von seiner Unterlage. Aus den Regalen floss grün-braune Brühe, die Bücher fielen zusammen bis alles zu Staub zerfiel. Der Elefant stieß einen unerträglich lauten Ruf aus, Sir Ben hielt sich die Ohren zu. Doch da vernahm er von außen ein Brüllen, das er sofort erkannte: Der Tiger! Der Tiger kam näher, er konnte es an seinem Brüllen erkennen, das lauter und lauter wurde. Schließlich, „er muss vor der Tür stehen“ entsetzt blickte Sir Ben zu eben dieser. Wie von einem enorm starken Windstoß angeblasen, stob die Tür mit einem Ruck auf und da stand er, der Tiger! Er brüllte ihn an, Sir Ben sah ihn an und stand mit zittrigen Knien da. „Ich bin verloren!“ stieß er wehmütig und ängstlich hervor und, mit Verlaub, machte sich in die Hosen. „Mäh.“ Plötzlich das Meckern einer Ziege. „Was soll das? Eine Ziege?“ Sir Ben war nun auf alles gefasst, wilde Tiere, kreischende Affen, weinende Kinder, der Ruf des Elefanten und das Brüllen des Tigers, der übrigens immer noch in der Türe stand. Doch eine Ziege? Er hatte keine Ziege hier. Kein Fell, kein Fleisch, kein Fitzelchen einer Ziege. „Mäh.“ Da stand sie. In voller Größe, nun ja, sie war nicht sehr groß, hatte den Kopf gesenkt, ihre Hörnchen zum Kampf gestellt. Da rannte sie los, direkt auf Sir Bens dicken Bauch zu. Sie war schnell. .........

Was weiter passiert, wie es weiter geht können Sie im zweiten Erzählband von Ernestine Holms "Der Sprung durch die Küche" mit vielen neuen Ideen und neun neuen Geschichten aus dem ganz "normalen" Leben nachlesen. Glauben Sie mir: Den müssen Sie einfach haben!


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