Ich denk an nix Böses oder Der Irrtum

 

“Hatschi!” Emma streicht sich über die Nase, die sehr lästig kitzelt. Ein Sonnenstrahl löste diesen Nieser aus und ersetzte das Klingeln des Weckers. Sie blinzelt nun mit dem rechten Auge, während sie das linke weiterhin geschlossen hält. 'Den Tag vorsichtig prüfen, erst mal schauen, ob die Welt in Ordnung ist.', denkt Emma. Die Sonne scheint, es ist still drinnen wie draußen. Scheinbar ja, sie ist in Ordnung. Nur frühlingshaftes Vogelgezwitscher draußen. “Ach, wie wundervoll!” Sie blickt zu Lizzy. “Hallo Lizzy, komm schmusen, kleine Morgenröte.” Auch Emmas Katze Lizzy, eine rote Tigerin, deren Fell in der Sonne leuchtet und glänzt, blinzelt zunächst misstrauisch, entscheidet sich aber bald ihre grünen, kajalstrichartig gezeichneten Augen zu öffnen und sieht Emma erwartungsvoll an. Dann macht Lizzy einen Katzenbuckel, streckt und erhebt sich sogleich. Nun bewegt sie sich graziös und sehr langsam mit hoch erhobenem Schwanz auf Emma zu. Die beiden schmusen, wie jeden Morgen, und Lizzy schnurrt wie ein kleiner Motor. 'So fängt der Tag schon einmal herrlich an', denkt sich Emma und genießt die friedliche Morgenstimmung. Sie reckt und streckt sich wohlig im Bett. “Wenn es heute so weiterginge, kann eigentlich nichts mehr schief gehen.”, plappert Emma optimistisch vor sich hin. Lizzy spitzt ihre Ohren, als würde sie genauestens verstehen, was Emma sagt.

“So, nun aber fix Kaffee kochen und ab ins Bad. „Komm, Lizzylein”, Emma streichelt sie, gleich hat sie keine Zeit mehr, “ich muss mich nun fertig machen, meine Morgenröte.” Emma erledigt ihr Morgenprogramm schnellstens, um ihre fröhliche Stimmung, bevor „der Stress“, wie sie es nennt, sie voll und ganz vereinnahmen wird, für einige Minuten beim Frühstück und Lizzy-Streicheln aufrecht zu erhalten.

Sie schaut prüfend aus dem Fenster und alles strahlt im frühen Sonnenlicht. “Sehr angenehm, meine Kleine. Nun muss ich aber..., bin bald wieder da, Süße.” Sie küsst von weitem ihre sie mit großen Augen anblickende Katze, schmeißt noch ein Küsschen nach und flitzt hinaus, die Türe schließend, den Aufzug drückend. Der Aufzug kommt, sie steigt ein, drückt auf 'E' und fährt hinab. Unten angekommen, öffnet Herr Voigt die Türe mit einem kurzen 'Guten Morgen'. Emma antwortet ihm ebenso kurz und geht aus dem Haus, denkt an nix Böses, die kleine Haustreppe hinunter, rutscht aus, fällt rückwärts auf ihren Allerwertesten. Schmerz, auweia! Emma flucht, flucht was das Zeug hält. “Was hält mich ab, verflixt noch mal, schnell zur Arbeit zu gehen? Kann man den in diesem Sch...land nicht mal einfach normal laufen...?” Typisch Emma, wenn sie am Boden liegt, weint sie nicht, wie es andere tun, sie schimpft und flucht und richtet sich sofort wieder auf. Dennoch ein kurzes Jammern, oh, dieser Schmerz, muss auch mal sein, dann noch ein “verdammt noch mal” und weiter. Sie war zeitlich schon ziemlich knapp dran. Als sie auftritt, schmerzt es doch arg. Sie akzeptiert es, beißt die Zähne zusammen und geht so schnell als möglich weiter.

Der Versuch, sich in der U-Bahn auszuruhen und die Hoffnung, der geprellte Fuß würde sich wieder beruhigen, misslingen gar kläglich, denn als Emma, die auch emotional ein wenig lädiert war und auf den Schrecken all ihre Rechnungen gedanklich durchforstete und die diesen gegenüber stehenden Einnahmen zusammenkratzte, stieß ihr ein klackerndes metallartiges Etwas ins Genick, und das tat weh. “T'schuldigung, der Herr. Ihr Rucksack war wohl etwas schwer für Sie!”, zischt Emma laut dem Kerl hinter ihr entgegen, der sich erst beim Hinsetzen dazu entschlossen hatte, seinen schweren Rucksack abzunehmen, nachdem er ihn Emma zunächst in den Nacken fallen ließ. Sie setzt sich kurzentschlossen und reflexartig auf den gegenüber liegenden freien Sitz, um weitere Attacken und eine ihr als unangenehm empfundene Nähe zu diesem schlecht erzogenen Rüpel zu vermeiden. „Sicherheitsabstand!“ Sie wusste ja nicht, wie dieser auf ihre Worte reagieren würde. Von den Leuten drum herum bekommt sie keine Reaktion, nicht ein Blick. Die Frau neben ihr sieht mit halbgesenktem Kopf auf den Boden. Emma schluckt, hat einen Kloß im Hals, ihr Fuß pocht und sollte eigentlich hochgelegt werden, was an diesem Ort schwerlich zu machen ist. Emma sehnt sich nach ihrer kleinen heilen Welt zu Hause, nach Lizzy und ihrem Sofa. Außerdem beschäftigt sie der Gedanke, wie sie es künftig wohl verhindern könne, dieser unglaublichen „Chance“, einen Rucksack, der offensichtlich mit schwerem Werkzeug geladen ist, ja, „geladen“, zu entgehen. Ihre Rechnungen hakte sie, jedenfalls vorübergehend, ab. 'Hat auch was Gutes, gell.', leichtes sarkastisches Lächeln, das entspannt schon mal.

Am Eingang ihrer Firma öffnet der Portier ihr die Türe nicht, wie sonst. Emma, sauer, zückt ihre Karte betont cool, zischt im Vorbeigehen ein “Morgen” durch die Zähne, drückt zum zweiten Mal, wie jeden Morgen, einen Aufzug, der kommt, drückt auf die 'Zehn', ab nach oben. Kaum ist sie in ihrem Büro, klingelt das Telefon. “Jaja, bin ja schon hier.” Emma legt schnell ihre Tasche auf ihren Bürostuhl, nimmt den Hörer ab, “FlickFlackFluck AG, Guten Morgen”. Am anderen Ende die Antwort: “Morgen, hier ist Schlimmer. Ich habe keine Winterreifen mehr drauf und brauche nun schnellstens ein Bahnticket. Bitte rufen Sie mich zurück und teilen Sie mir mit, wann der nächste Zug nach Hannover geht. Danke.” Emma legt den Hörer auf. Ihr Chef, Herr Schlimmer, ja, so kann man heißen, hatte also auch nicht mit einem Wintereinbruch gerechnet, Sie denkt an nix Böses, setzt sich. Grgwtsch, ganz leise, jedoch unüberhörbar. Zumindest für Emma war es unüberhörbar, sonst war auch niemand da. Ihr Joghurt für ihr mittägliches Diätessen bereicherte die Innenseiten ihrer ansonsten schlanken Jeanstasche. Über weitere Verteilungen wollte und konnte sie gerade nicht nachdenken. Schnell bucht sie das Ticket, ruft den Chef an, reinigt daraufhin irgendwie ihre Tasche, entsorgt das Joghurt, holt ein belegtes Brötchen in der Kantine, ‚heute keine Diät‘, denkt sie und ‚alles Schlechte hat auch was Gutes‘. Der Rest des Tages ist purer Stress, der Emma voll und ganz vereinnahmt, danach geht sie einkaufen.

Im Supermarkt besorgt sie das Notwendigste: Katzenfutter, Milch, etwas Obst und ein paar Joghurt für die kommenden Büro Tage. Als sie den Supermarkt verlässt, sie denkt an nix Böses, sieht sie zum Blumenladen gegenüber. “Von da brauche ich noch Dünger und Erde zum Umtopfen.”, murmelt sie leise vor sich hin. Rums! Ein imposanter, dennoch kleiner Mann mit sehr rundem Bauch muss sie wohl übersehen haben oder sie ihn. Emma holt Luft und, nein, kein Fluchen, kein Jammern, nein, es reicht. 'Ich ignoriere es einfach. Es ist gar nicht passiert. Alles wird gut. Erde, Dünger...' Luft schnappend, kleine Sternchen vor Augen, ein wenig schwindelig ist ihr, die Nicht-Entschuldigung hat sie natürlich völlig überhört, geht sie langsam und konzentriert zum Blumengeschäft. Sie erledigt den Rest, und ist froh, als sie endlich daheim ist. Lizzy freut sich sehr und lässt sich gerne streicheln, das frische Fresschen akzeptiert sie mit großem Appetit. 'Wenigstens hier habe ich höfliches Benehmen. Lizzy ist eine freundliche, gut erzogene Katze. Abgesehen davon scheinen Katzen sowieso viel freundlicher und höflicher zu sein als so manches Menschenwesen da draußen. Emma unterdrückt den aufkeimenden Impuls, alles noch mal ablaufen zu lassen, was ihr heute widerfahren ist. Sie will nur noch da anknüpfen, wo sie heute Morgen, als die Sonne noch schien, angefangen hatte.

Sie ist eben doch eine unverbesserliche Optimistin. Mit einem Buch auf dem Sofa, Lizzy zu Füßen, glaubt sie, alles sei gut. Eine Maschine Wäsche ist angestellt, die Geschirrspülmaschine läuft gleichzeitig. Sie denkt an nix Böses, warum auch? Krachklirrkrachchch! Nein, dies ist kein Comic, es ist die Waschmaschine. Emma pumpt das Wasser ab, holt die klitschnasse Wäsche raus und sucht in der Trommel nach eventuellen Teilen, die da nicht rein gehörten. Wie sie reinkamen, darüber möchte sie nicht nachdenken, erst mal sehen, was drinnen ist, bevor sie an eine Verschwörung glauben will, wozu sie sehr versucht ist. Sie findet den Übeltäter, “schon wieder ein 'Er'”, murmelt sie. Es ist ein BH-Bügel. Er hatte sich aus einem ihrer BHs gelöst und in der Trommel verheddert. “Na bitte, auch du kannst mich nicht aus der Fassung bringen”, Emma lächelt den Bügel an, als wär's ein abgelegter Liebhaber, der einfach nicht gehen will.

Zurück auf der ach so gemütlichen Couch, liegt sie wiederum entspannt da, so gut es eben geht, und liest weiter in ihrem Buch. Ihre rechte Hand lässt sie lässig herunterbaumeln, so dass Lizzy an dieser beginnt ihr Gesichtchen zu reiben, einmal links, einmal rechts. Sie schnurrt dabei und schaut zwischendrin ihr Frauchen an, ob diese bereit sei, sie nun zu streicheln. Lizzy wartet umsonst. Frauchen liest und registriert Lizzy nicht. Lizzy versteht nicht, warum sie nicht beachtet wird und fasst einen spontanen Entschluss: Sie öffnet ihr Tigermäulchen und ihre scharfen Zähne kommen zum Vorschein. Dann beißt Lizzy mit aller Kraft, die sie in ihrem kleinen, nicht zu unterschätzenden Tigermäulchen hat, in die herunterbaumelnde rechte, sehr entspannte Hand ihres Frauchens Emma. Diese schreit laut auf und weiß nicht recht, wie ihr geschieht und nun doch noch bereit ist, an eine Verschwörung aller Geschlechter und bösen Geister zu denken. “Lizzy! Du auch?”


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